Notfalltelefon-Seelsorge: 02327 . 3015 - 50

Zentrales Pfarrbüro: Kontakt

Welches Zeichen lässt du uns sehen, dass du dies tun darfst?

Zum Sonntag, 09.11.2025

';

Zum Evangelium Johannes 2, 13-22 am 32. Sonntag des Jahreskreises

13 Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. 14 Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. 15 Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern; das Geld der Wechsler schüttete er aus, ihre Tische stieß er um[1] 16 und zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! 17 Seine Jünger erinnerten sich, dass geschrieben steht: Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren. 18 Da ergriffen die Juden das Wort und sagten zu ihm: Welches Zeichen lässt du uns sehen, dass du dies tun darfst? 19 Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. 20 Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? 21 Er aber meinte den Tempel seines Leibes. 22 Als er von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte.

Das Evangelium trifft mitten ins Herz einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die weit über Ladenöffnungszeiten hinausgeht. Es geht um nichts Geringeres als um die Frage, wem unsere Zeit gehört – und ob wir uns selbst noch gehören. Der Sonntag steht sinnbildlich für Freiheit: für die Unterbrechung der rastlosen Betriebsamkeit, für das Recht, einfach sein zu dürfen. Wenn dieser Tag verhandelbar wird, wenn selbst die Ruhe zum Wirtschaftsfaktor wird, dann droht eine stille Enteignung des Menschlichen.

In einer Kultur, die Leistung, Aktivität und Konsum vergöttert, wird Stille schnell verdächtig. Sie entzieht sich der Kontrolle, lässt Gedanken aufsteigen, die unbequem sind. Wer schweigt, hört sich selbst – und vielleicht sogar Gott. Genau deshalb ist der Sonntag nicht bloß eine kirchliche Tradition, sondern ein Akt des Widerstands. Er schützt uns vor der totalen Vereinnahmung durch Arbeit, Werbung und Lärm.

S. Lewis’ Höllenvision vom „Universum des Lärms“ wirkt heute fast dokumentarisch. Unsere Städte, Medien und Köpfe sind erfüllt von Dauerbeschallung. Der Lärm lenkt ab – von Fragen nach Sinn, Gerechtigkeit, Vergänglichkeit. Die Versuchung liegt nicht mehr in der Arbeit allein, sondern in der ständigen Ablenkung. Wir fliehen in Geräusche, Menschenmengen und Displays, um der Stille zu entkommen, weil sie uns mit uns selbst konfrontiert.

Doch der Sonntag ruft uns in eine andere Wirklichkeit. Er ist kein Tag der Leere, sondern der Fülle – wenn wir ihn als Geschenk begreifen. Ein Tag, der nicht „verfügbar“ ist, sondern uns frei macht. Er erinnert daran, dass der Mensch nicht Mittel zum Zweck ist, sondern Ebenbild Gottes. Freiheit heißt nicht, alles tun zu können, sondern nichts tun zu müssen.

Vielleicht liegt die eigentliche Herausforderung unserer Zeit darin, die Stille wieder zuzulassen. Den Mut zu haben, einen Tag lang nichts zu kaufen, nichts zu leisten, nichts zu beweisen. Der Sonntag ist dann nicht mehr bloß Tradition, sondern eine Schule der Freiheit. Wer das Schweigen aushält, wird sich selbst begegnen – und darin vielleicht dem, der die Ruhe „heilig“ genannt hat.

Josef Winkler